Catalogo Foscarini Maestrie
215 Mastery 214 Maestrie DE → Virtuosität — In der vierten industriellen Revolution ist die Welt des italienischen Designs aufgerufen, ihren „Humanismus“ wiederzufinden und die Idee einer rein technologisch orientierten Produktion hinter sich zu lassen. “Das kann man nicht machen” — Warum dieses Buch — Carlo Urbinati, Foscarini Founder and President p. 004 Foscarini setzt Design- und Lichtideen um, die ohne jede Produktionsbeschränkung aus der Freiheit von Forschung, Ausdruck und Entwicklung entstehen. Foscarini ist nämlich seit seiner Gründung ein Unternehmen ohne Fabrik, also frei, um für die Umsetzung jeder neuen Idee geeignete Materialien und Produktionstechniken zu erforschen und damit Handwerksbetriebe im Gebiet zu betrauen. Manchmal passiert es, dass die Präsentation eines unserer Entwürfe ein entschiedenes: „Das kann man nicht machen“ erntet: Wir von Foscarni hoffen dann, dass wir auf dem richtigen Weg sind, denn wir haben gelernt, dass dieser Satz oft „Das haben wir noch nie gemacht“ bedeutet. Mit dem Vorteil, nicht den Grund dafür zu kennen, beginnen wir gemeinsam Möglichkeiten, Geheimnisse und Gefahren alter oder neuer Technologien zu erforschen. Dieses Buch erzählt anhand des Fotoprojekts von Gianluca Vassallo und der kritischen Beiträge von zwei Experten, Stefano Micelli, Ökonom, und Manolo de Giorgi, Designkritiker, wie einige dieser Ideen zu erfolgreichen Produkten wurden. Wir haben sie gebeten, die Begegnung zwischen Foscarini, den Designern und den Handwerksbetrieben, dem wahren Schatz des italienischen „Made in Italy“-Designs, darzustellen. Wir sind stets von den einzigartigen Dingen fasziniert, die man mit den Händen kreieren kann, und von der Tatsache, dass man zu oft vergisst, wie anziehend und wichtig sie sind. Making Design (Design heute) — Stefano Micelli, p. 008 Die Entstehung einer Leuchte Um mehr über die Entstehungsgeschichte von Mite zu erfahren, treffe ich Marc Sadler in der Fertigungsstätte von FAPS – jenem Unternehmen in Fiume Veneto in der Provinz Pordenone, wo die Leuchte entwickelt wurde und bis heute gefertigt wird. Die Planung und Entwicklung von Mite reicht bis zum Ende der 1990er-Jahre zurück. Den Ausgangspunkt für das Projekt lieferten die neuen Möglichkeiten innovativer Materialien wie Glas- und Kohlenstoff-Faser. Sadler hatte bereits einen Prototypen entwickelt: eine Stehleuchte mit einem Autoscheinwerfer an der Spitze. Eine Idee, die es wert war, sie zusammen mit jemandem weiterzuentwickeln, der die entsprechenden Materialien kannte und verarbeiten konnte. Unser Gespräch beginnt im kleinen Sitzungssaal neben dem Eingang des Unternehmens. Doch schon nach wenigen Minuten gehen wir weiter, um uns einige der Arbeitsschritte, die der Leuchte noch heute ihre Form verleihen, aus der Nähe anzusehen. Uns begleiten Maurizio Onofri, Eigentümer von FAPS, und Giorgio Valeri, der in den vergangenen Jahren die Versuche von Sadler begleitete. Die von den Technikern von FAPS eigens angepassten Maschinen aus nächster Nähe zu sehen, die Arbeiterinnen dabei zu beobachten, wie sie mit gekonnten Handgriffen, ähnlich denen einer Schneiderin, die Fasern von Mite ausstreichen, bevor diese in eine Art Ofen kommen, und bei der abschließenden Fertigstellung des Produkts dabei zu sein, hilft mir, das Projekt Mite besser zu verstehen. Aber gehen wir einen Schritt zurück und werfen wir einen genaueren Blick auf FAPS. Das Unternehmen setzt Ende der 1980er-Jahre auf Verbundwerkstoffe – damals eine absolute Neuheit. Nach umfangreichen Überlegungen zur möglichen Nutzung dieser Innovation entschließt man sich, in die Produktion von Sportangeln zu investieren – bis zu 15 Meter lange Ruten, die sich durch hohe Stabilität und ein geringes Gewicht auszeichnen. Die Herstellung von Angelruten sowie andere Formen der Verarbeitung von Kohlenstoff-Fasern für externe Auftraggeber sind für einige Jahre das Hauptgeschäft des „Start-up“-Unternehmens. Ende der 1990er-Jahre beginnt man, Verbundwerkstoffe auch im Bereich der Möbelherstellung einzusetzen. Das Potenzial von Glas- und Kohlenstoff-Fasern wird nunmehr nicht allein zur Fertigung von Produkten mit besonderen technischen Eigenschaften genutzt, sondern auch für andere Zwecke, nicht zuletzt zur Entwicklung von neuen ästhetischen Lösungen. Vor diesem Hintergrund beginnt die Zusammenarbeit zwischen Foscarini und Marc Sadler. Während wir zwischen den Maschinen und Handwerkern von FAPS umhergehen, erzählt Sadler von den Diskussionen zwischen ihm und Maurizio Onofri und von der Leidenschaft, mit der der Unternehmer drei Jahre lang die ebenso anstrengenden wie faszinierenden Versuche begleitete. Es ist schwer, sich ein multinationales Unternehmen mit einer wachsamen Controlling- Abteilung vorzustellen, das so aufwändige und teure Versuchsreihen zulässt. Es braucht auch immer wieder ein „Höchstmaß an Unvernunft“, um die tatsächlichen Möglichkeiten eines Materials und einer Technologie zu entdecken, erinnert sich Sadler. Es braucht viele Samstage, an denen man über alternative Prototypen nachdenkt, und viele Abende, an denen man sich auf Wege abseits der Norm einlässt. Damit die Aufgabe gelingt, sind Leidenschaft und Hartnäckigkeit erforderlich. Aber nicht nur. Es braucht auch ein Unternehmen, in diesem Fall Foscarini, das finanzielle und zeitliche Grenzen setzt, damit all diese Anstrengungen auf ein marktfähiges Produkt ausgerichtet werden und nicht nur eine reine Spielerei von Bastlern bleiben. Nach drei mühevollen Jahren, nach zahlreichen Versuchen mit dem Material und diversen Prototypen, in denen man sich schrittweise dem fertigen Produkt näherte, präsentierte man schließlich die Leuchte Mite. Diese wurde im Jahr 2001 mit dem Compasso d’Oro ausgezeichnet. Marc Sadler betonte dabei stets die Bedeutung der Arbeit von FAPS und würdigte insbesondere den Verdienst der Mitarbeiter, die zu der endgültigen Gestaltung und der Qualität des Projekts entscheidend beigetragen haben. Die Arbeit der Mitarbeiter war fundamental, und doch weiß die Öffentlichkeit wenig darüber, so wie auch ihre Bedeutung oftmals schändlich unterschätzt wird. Das große Comeback Die Geschichte der Leuchte Mite ist für das italienische Design nicht besonders außergewöhnlich. Geht es um die Entwicklung neuer Produkte durch namhafte Designer, so kann man in Italien im Bereich der Fertigung von Prototypen seit jeher auf ein überraschend breites Portfolio von Kompetenzen zurückgreifen. Eine Vielzahl kleiner Unternehmen und Handwerksbetriebe ermöglicht es, aus ersten Entwürfen schnell dreidimensionale Modelle zu erzeugen. Das gilt auch für die Lichtbranche, in der traditionelle Werkstoffe wie mundgeblasenes Glas ebenso zum Einsatz kommen wie innovative Verbundmaterialien. Über viele Jahre waren diese Kenntnisse ausschlaggebend für die Entwicklung des italienischen Designs. Ohne dass sich daraus jedoch eine Kultur entwickelte, in der die unternehmerischen und handwerklichen Akteure – die einen wesentlichen Beitrag zur Evolution des gesamten Sektors geleistet haben – Anerkennung erfuhren oder bekannt wurden. Heute sind wir aus unterschiedlichen Gründen dazu aufgerufen, über die Bedingungen für ein neues Narrativ nachzudenken. Den Ausgangspunkt für die „Neuerzählung“ des italienischen Designs bildet die Notwendigkeit, den Wert der angebotenen Gegenstände zu erklären und zu belegen – vor dem Hintergrund eines internationalen Markts mit zunehmend kritischeren und informierteren Kunden. Wenn wir heute über handwerkliche Arbeit nachdenken, die hinter der Produktion von Leuchten wie Mite (und anderen Produkten mit ähnlicher Entstehungsgeschichte) steht, dann deshalb, weil der Käufer eines Produkts darin die Zeichen einer Materialkultur und eines Know- hows erkennen möchte, die Objekte mit Bedeutung und historischem Bezug entstehen lassen. Die handwerklichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die die Arbeit des Designers erweitern und ergänzen, sind ein charakteristisches Qualitätsmerkmal italienischer Produkte auf dem Weltmarkt. In einer Welt, in der es von Ideen und Inspirationen aller Art nur so wimmelt und die Zahl von „Hackatons“ und „Elevator Pitches“ beständig steigt, muss dringend an die Bedeutung von Unternehmen wie FAPS erinnert werden. Unternehmen, die in der Lage sind, Ideen und Entwürfe der Designer zu bereichern und umzusetzen. Die Fertigung von Prototypen ist eine Aufgabe, die sich nicht allein darauf beschränkt, die Qualität des Endprodukts zu sichern. Was die Geschichte von Mite und ähnlichen Projekten zeigt, ist, dass der Beitrag der produzierenden Unternehmen und der Handwerker auch in einer Beurteilung der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit in Bezug auf den Produktionsprozess besteht. Was auf dem Markt präsentiert wird, ist nicht nur ein kohärentes, funktionelles Produkt. Es ist auch ein Produkt mit einem vernünftigen Preis- Leistungsverhältnis. Dank Verarbeitungsprozessen und –techniken, die sowohl in puncto Material als auch Arbeitseinsatz Nachhaltigkeit garantieren. Derjenige, der daran mitwirkt, dem Projekt seine endgültige Form zu verleihen, ist derselbe, der schließlich für die Produktion dieses Produkts – in kleinem oder großem Stil – verantwortlich zeichnet. Das besondere Augenmerk für Aufwand und Machbarkeit sichert damit die wirtschaftliche Nachhaltigkeit für den Hersteller. Es versteht sich, dass der dritte Erfolgsfaktor für ein Qualitätsprodukt die Sorgfalt ist, die der Auftraggeber der Entwicklung des Projekts widmet. Das Gespann Designer/Prototypenbauer erfährt Unterstützung, aber auch Einschränkungen durch den Auftraggeber. Die Fähigkeit, eine Idee in ihrer Entwicklung zu begleiten, bis hin zum fertigen Produkt, erfordert einen nicht zu unterschätzenden Einsatz. Die Rolle des Unternehmers/ Verlegers ist in der Dynamik zwischen Designer und Entwickler während aller Phasen der Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Innovative Produkte zu entwickeln und umzusetzen, erfordert stets ein Aufeinandertreffen unterschiedlicher Perspektiven und Kenntnisse. Das Unternehmen, das ein Produkt auf den Markt bringt, hat die Aufgabe, die verschiedenen Parteien immer wieder neu zu animieren und dabei immer auch die Bedürfnisse des Markts, die Vertriebskanäle und die Rolle der Medien im Blick zu behalten. Vorhang auf Um die Bedeutung eines Projekts wie Mite und darüber hinaus eines großen Teils der Produktion von Unternehmen wie Foscarini deutlich zu machen, ist es notwendig, das Binom Unternehmen-Designer zu überwinden und gleichzeitig das handwerkliche Know-how wieder stärker zu betonen, das die Grundlage des Erfolgs von Möbeln und Leuchten „Made in Italy“ bildet. Dabei geht es nicht um fehlenden Respekt gegenüber den zahlreichen Unternehmen und vielen Designern, die die Geschichte der Möbelproduktion in Italien geschrieben haben. Vielmehr soll das Panorama um ein weiteres Element erweitert und um eine lang unterschätzte Komponente ergänzt werden. Es ist an der Zeit zu erkennen, dass dieses Element ein nur schwer zu erklärendes Maß an Kreativität und Vielfalt ermöglicht. Es ist ein Faktor, der es ermöglicht hat und nach wie vor ermöglicht, wirtschaftliche Ziele zu erreichen, die im Rahmen der traditionellen Industrien sonst nur schwer umsetzbar sind. Für ein Unternehmen wie Foscarini sind die Anerkennung und Aufwertung der Rolle der eigenen Zulieferer in der Entwicklungsphase wie auch in der Fertigung ein wichtiger Schritt. Lange dachten wir, es wäre möglich, die Schaffung eines unternehmerischen Rufs von der Produktion abzukoppeln. Viele Jahre betrachteten wir die Marke – das Element, das die Werte und Ambitionen des Unternehmens kommuniziert – als eine Art „Vorhang“. Die Fertigung dahinter wurde vor den Augen der Endkunden verborgen. Sie galt als zu ungeordnet, zu komplex, zu problematisch, um in Szene gesetzt zu werden, vielleicht sogar vor einer internationalen Öffentlichkeit. Die Zeiten haben sich geändert. Wer ein Designprodukt kauft, möchte verstehen, warum ein Objekt mehr kostet als ein anderes, worin sein Wert begründet liegt. Er gibt sich nicht mehr mit allgemeinen Qualitätsversprechen zufrieden, die in Anzeigen in Hochglanzmagazinen immer wieder wiederholt werden. Er möchte mehr. Er möchte die tatsächliche Qualität eines bestimmten Produkts und eines bestimmten Produktionsverfahrens begreifen. Er möchte die Werte und die Kultur kennen, die hinter einem bestimmten Erzeugnis stehen, ebenso wie die Menschen und Orte, die zu seiner Entstehung
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NzM3NTE=