Catalogo Foscarini Maestrie
221 Mastery 220 Maestrie war Industriekultur universell zugänglich und ihre Technologie in vereinfachter und abgeflachter Form auf allen Breitengraden der Welt verfügbar. Zur selben Zeit beschränkte sich die Designkultur in einer übersättigten Welt ohne neue funktionelle Anforderungen (oder zumindest einer Welt, in der das Angebot an Designprodukten die Nachfrage überstieg) auf „banale“ Projekte, deren Innovation in kontinuierlichen, doch minimalen Schritten vorwärts bestand. Beide Entwicklungen ebneten dem Design praktisch eine „Autobahn“ in Richtung Vereinfachung, führten allerdings zugleich zur Verbreitung bedenklich homogener Produkte. Was von all dem jedoch unberührt zu bleiben schien, war das Qualitätshandwerk, das in der industriellen Verarbeitung weiterhin seinen Platz hatte. Dort war es nach wie vor der einzelne Handwerker, der Entscheidendes bewegen konnte, indem er noch weitgehend unbekannte Lösungsansätze und sein manuelles Geschick einbrachte. Beides begann nun wieder verstärkt eine Rolle zu spielen – als Faktor, der den entscheidenden Unterschied ausmachen konnte und als antikes, bisher verborgenes Erbe. Als dann bei einigen Produkten im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts die industriellen Verkaufszahlen einiger Unternehmen soweit zurückgegangen waren, dass sie sich auf ein paar Dutzend beliefen, wurde auch die Zahlenfrage relativ. Zugleich war die Bedeutung der Rolle des Handwerkers wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. 2. Die zentrale Frage lautet damit: Wer betreibt heute Forschung? Wer beschäftigt sich mit Komplexität? Die Mega-Marken, die zu Beginn des Jahrhunderts entstanden, hatten andere Sorgen. Sie wurden gegründet, weil man das Kapitel „Vertrieb“ in der Designbranche in Ordnung bringen wollte, jene 40 oder 50 %, die mit der Öffnung des globalen Markts besondere Probleme oder auch Gelegenheiten boten. Ihr Zusammenschluss erfolgte jedenfalls bestimmt nicht, um gezielt produktorientierte Forschung zu betreiben. Die Vorteile der Massenproduktion machten Markenidentität und Rationalisierung zum zentralen Thema der neuen Strukturen. Doch das Produkt, das aus dieser Konzentration der Marken entstand, erinnerte unweigerlich an Erzeugnisse aus dem Objektbereich. Ideal für Großlieferungen, nicht schön und nicht hässlich, warenkundlich betrachtet einwandfrei, das ja, aber auch platt genug, um unberechenbare Ausreißer zu vermeiden: Erfolg durch eine Art „nicht näher bestimmtes Qualitätsprodukt“. Um all dem zu entkommen, blieb noch der Handwerker. Er war der einzige, der mit seiner einfachen und flexiblen Herangehensweise nach wie vor Qualität und Einzigartigkeit sowie Just-in-Time-Produktion zu gemäßigten Kosten bieten konnte. Hier war noch Raum für Fehler wie auch Projekte, die zu keinem nachhaltigen Abschluss gebracht werden konnten. Zugleich erforderte diese Experimentierphase keine übertriebenen Investitionen – in einer Marktsituation, die in den vergangenen zehn Jahren bereits relativ schwierig geworden war. Der Handwerker war der einzige, der sich noch auf gewisse „unvernünftige“ Herausforderungen einlassen konnte, die eventuell auch aus abgelegenen Orten in fernen Schwellenländern kamen. Er konnte sie ein erstes Mal umsetzen und vielleicht wenig später mit einer minimalen Abänderung reproduzieren. Alternativ konnte er sich auch auf Einzelstücke und Maßarbeiten konzentrieren, wo Prototyp und fertiges Produkt bei einer Auflage von einem Stück dasselbe waren und meist einen hohen Grad an Komplexität aufwiesen. In all diesen Bereichen präsentierte sich Italien überaus fortschrittlich, ganz im Sinne Luigi Pasinettis, der festhielt: „Der Reichtum einer Industrienation ist etwas völlig anderes als der Reichtum vorindustrieller Nationen, oder besser gesagt, er geht darüber hinaus. Er besteht weniger im Reichtum der Güter, die sie besitzt, als vielmehr in den technischen Fähigkeiten, diese zu produzieren“ (1) . Aus einer anderen Perspektive, jener der Kunstkritik, beobachtete dies während der Zeit der großen industriellen Expansion Ende der siebziger Jahre auch Pierre Restany. Er erkannte die Bedeutung dieser handwerklichen Kompetenz und hielt fest, dass es den Italienern gelungen war, zu perfekten „Kunsttischlern für Kunststoffe“ zu werden, die die „Intelligenz des Materials“ begriffen hatten. Eine Feststellung, die sich später auch in Bezug auf alle weiteren neuen Werkstoffe würde treffen lassen, die nach und nach folgten. Jeder Form der technischen Innovation konnte stets auch aus der Perspektive eines Kunsttischlers begegnet werden. Es genügte, bestimmte Schritte der Produktion auszugliedern, damit diese oder jene Phase des Projekts auf bestmögliche Weise durchgeführt wurde, um sie anschließend in die nachfolgenden Phasen der Fertigungskette zu schicken. Das Ergebnis war eine Fertigungsstraße mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in den einzelnen Phasen, die es jedoch ermöglichte, auf quasi natürliche Weise vom einen in den anderen Verarbeitungsbereich zu wechseln. Wie beim Schneiden eines Films gelang es so, unterschiedliche „Szenen“ miteinander zu verbinden, deren Beziehungen und Berührungspunkte auf einem gemeinsamen Qualitätsprinzip beruhten. 3. Für die analytische Betrachtung der Designkultur von Foscarini konzentrieren wir uns hier auf drei schlanke Produktionsbetriebe, die für drei verschiedene Formen von Materialkultur stehen. Diese Unternehmen folgen heute eindeutig den Entwicklungen der modernen Projektkultur. Entwicklungen, die eine kontinuierliche Veränderung des Materials mit sich bringen, wobei sich insbesondere dessen Anwendungsbereiche verlagern – als ob das Material selbst im neuen Jahrhundert eine zweite Bedeutung erlangen würde. Dieses Material ist kein Material mehr, sondern ein Werkstoff, der durch industrielle Bearbeitung verändert wurde. Diese liefert uns ein Sekundärprodukt, in gewisser Art ein Hybrid, eine Halbfertigware, die sich immer noch weiter in etwas anderes umwandeln lässt. Aufgrund dessen beständiger Transformation wird die Qualität dieses Produkts nicht mehr durch seine Substanz bestimmt, sondern durch die Möglichkeiten und die Vielseitigkeit, die es bietet und die im Idealfall auf der Kombination von Widerstandsfähigkeit + Leichtigkeit + Elastizität beruhen. Crea, Vetrofond und FAPS sind die drei Unternehmen, um die es hier gehen soll. Sie zählen 7, 47 und 35 Mitarbeiter, hinzu kommen deren Eigentümer – einer, maximal zwei pro Unternehmen. Zement, Glas und Kohlenstoff- Faser sind ihre Werkstoffe. Sie zeigen, wie Material im 21. Jahrhundert eine neue Bedeutung erhält, begleitet von einer entsprechenden Phase der Umstellung und Neupositionierung der Industrie. Das Jahr 1945 ist lange vorbei und die Art der Umstellung ist daher nicht jene von Iso, wo man von Kesseln zu Motorrädern wechselte, und auch nicht jene von Piaggio, das von der Schalenverkleidung der Bomber auf Motorroller umschwenkte. Es geht um einen Weg, das Produktions konzept des Unternehmens neu zu denken, das sich infolge der Umbrüche auf dem Markt im Laufe der vergangenen fünfzehn Jahre entwickelt hat. Es geht um einen Wechsel der Perspektive innerhalb des eigenen Tätigkeitsbereichs. Aber auch wenn zum Zweck dieser Umstellung ein Perspektivenwechsel erfolgt, bleibt das Thema „industrielles Handwerk“ aktuell, da auch der entscheidende Akteur – eine geradezu klassische Figur in der italienischen Designbranche – derselbe bleibt. Es ist dies die vielseitige Figur des Arbeiters/ Handwerkers, des Eigentümers/ Designers, des Herstellers/ Verlegers, die erneut die Bühne betritt. Es ist typisch italienisch, eine Art universellen „Problemlöser“ für das gesamte Feld zu erfinden, der zugleich die Bereiche Technik und Design, Detail und Leistung, qualitativ starke Zulieferung und Konzentration unterschiedlicher Verarbeitungen abdeckt. Es sind diese Schlüsselfiguren, die in unserer Geschichte eine zentrale Rolle spielen. Wie etwa Natale Cappellaro, Arbeiter bei Olivetti, der zu Beginn als Monteur für die Schreibmaschine MP1 tätig ist und später als Entwickler die revolutionären Multifunktionsrechenmaschinen entwirft. Oder Ingenieur Carlo Barassi, der während des Zweiten Weltkriegs mit Schaumgummi- Protektoren für Bombertanks beginnt und dann mit Arflex zunächst neue Autositze aus Elastomeren und schließlich Polstermöbel fertigt. Oder auch wie Enrico Garbarino, der sich von Ettore Sottsass überzeugen lässt, die Produktion von „falschen“ Oberflächen aus Laminat zu wagen, Sperrholz- und Spanplatten mit Melaminharz kombiniert und so Abet Print begründet. Mit seiner Entscheidung, auf Crea, Vetrofond und FAPS zu setzen, beweist Foscarini seinen Glauben an dieses Konzept. Crea wurde von Giovanni Piccinelli ins Leben gerufen, der nach seinen Erfahrungen als Betonwerker in der Schweiz – der Heimat des Sichtbetons und dessen raffiniertester Bearbeitungsformen – sein eigenes Unternehmen in Darfo Boario eröffnet. Die Produktion konzentriert sich zunächst auf Bauteile und Baukomponenten aus Beton, bis Ende der neunziger Jahre die Baukrise den Markt erschüttert. Piccinelli steht kurz davor, alles aufzugeben und zum Zeitvertreib Vasen zu fertigen. Doch gerade zu diesem Zeitpunkt beginnen vermehrt Aufträge für die Fertigung von Leuchten und Einrichtungsgegenständen für den Außenbereich einzutrudeln. Bei kleineren Produkten sind auch die Risiken geringer, denkt Piccinelli, und nimmt die Herausforderung an. Dank seiner Erfahrung mit den Schwierigkeiten beim Entformen und mit Problemen bei Hinterschnitten gelingt ihm dieser radikale Wechsel in eine neue „Größenordnung“ ohne größere Mühe. Gleichzeitig bleibt das Unternehmen seiner Tradition im Bereich der Betonbauteile treu, verlagert die laufende Produktion von Schwellen, Randsteinen und Balustraden allerdings hin zu Spezialaufträgen nach Maß. Für Vittorio Moretti und seine von Mario Botta in Suvereto entworfenen Kellerei Petra wagt Piccinelli zudem ein Hasardeurspiel: Er stellt sich der Herausforderung, 200 Stahlsäulen zu verkleiden. Seine 200 gerippten Betonummantelungen mit jeweils 3,8 Metern Höhe und 1,5 Tonnen Gewicht sind ein eindrucksvolles Beispiel für das Design von Bauteilen. Mit einem scheinbar unmöglichen Projekt – der Leuchte Aplomb mit ihrem Schirm aus Zement, entworfen von Lucidi e Pevere – beginnt schließlich auch die Zusammenarbeit mit Foscarini. Bis dahin hatte Crea seine Gussformen bei einem Formenbauer aus dem Raum Bergamo in Auftrag gegeben. Doch für diesen Zulieferer bedeutete eine so kleine und zarte Form wie der kegelförmige Schirm von Aplomb in erster Linie einen lästigen Mehraufwand. Als der Formenbauer dann seine baldige Pensionierung ankündigt, befindet Piccinelli, dass es das Fertigungsverfahren wesentlich vereinfachen würde, wenn er sich die für den Formenbau notwendigen Techniken zu eigen machte. Und das tut er. Da es zu viele Ungewissheiten mit sich bringt, für eine so spezielle Projektphase von einem Zulieferer abhängig zu sein, lernt Picinelli selbst Gussformen herzustellen – in jener Halle des Unternehmens, in der auch die Formen aus Gummi und Silikon gefertigt werden. Ausschlaggebend dafür sind weniger die Kosten für eine Form (zwischen 600 und 700 Euro), als vielmehr der Zeitverlust und der Nachteil, die Entwicklung des Projekts nicht „im Haus“ mitverfolgen zu können. Da es sich um ein Produkt handelt, das kontinuierlich überarbeitet wird und dessen Fertigung zum Teil viel Zeit erfordert, ist es besser, unmittelbaren Zugriff darauf zu haben. Tatsächlich bedarf es zwischen 200 und 300 Probeleuchten, bevor man die endgültige Lösung für Aplomb findet. Doch während man zu Beginn für die Leuchte mit etwa fünf Formen arbeitet, sind es heute etwa 45. In dem kleinen 7-Mann- Betrieb sind drei Arbeiter für die Fertigung von Aplomb zuständig (Vasile, Radu und Mamadou). Zwei von ihnen übernehmen das Gießen, einer die Feinbearbeitung. Die Arbeiter kümmern sich um das Gießen und die darauffolgenden Schritte, doch an der Prototypenentwicklung sind sie nicht beteiligt. Es sind Giovanni Piccinellis Söhne Ottavio (Produktion) und Carlo (Entwicklung und Vertrieb), mit denen der schwierige Wechsel zur Fertigung von Haushaltsgegenständen beginnt. Vor allem das Sandstrahlen erfordert besondere Sorgfalt, um eine kontrollierte Unregelmäßigkeit der Kornverteilung und der offenen Poren im Zement des Schirms zu erzielen. Auf dieses Detail nehmen die Arbeiter zu Beginn wenig Rücksicht und betrachten den Vorgang als Zeitverschwendung. Ottavio beschließt daher, die drei für die Leuchte zuständigen Arbeiter auf die Mailänder Möbelmesse mitzunehmen. Sie sollen verstehen, dass diese Objekte
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