Catalogo Foscarini Maestrie
223 Mastery 222 Maestrie für Wohnräume bestimmt sind, und für eine Welt, in der Feinbearbeitungen eine gänzlich andere Bedeutung zukommt. Auf diesem Weg erkennen sie, dass es wichtig ist, vor dem Sandstrahlen die Kanten der schmalen und der breiten Seite des Kegels von Hand mit dem Schlauch zu bearbeiten. Ein Arbeitsschritt, der nötig ist, um die Gießspuren zu entfernen. Ist alles erledigt, wird das Werkstück nach Aufbringen einer wasserabweisenden Beschichtung und nach erfolgreicher Qualitätskontrolle durch Foscarini nach Pordenone geschickt, wo die Leuchten elektrifiziert und in Folge zurück nach Marcon geliefert werden. Natürlich musste sich Piccinelli an diese neue Welt erst gewöhnen, in der Qualitätskontrollen etwa zweimal pro Monat mittels exakter Messungen durchgeführt werden. Und das mit Kontrollmaßen für Zementstärken, die nichts mit jenen von früher zu tun haben, als die Toleranz nach dem Entformen der Bauteile zum Teil mehrere Zentimeter betrug. Die aktuelle Entwicklung in Richtung einer Miniaturisierung von Zementerzeugnissen zeigt sich damit auch in den Stifthaltern, Vorhangstangen und Armaturen, die Crea produziert und mit denen das Unternehmen dem „Wandel“ des Materials optimal Rechnung trägt. Giancarlo Moretti, einer der beiden Eigentümer von Vetrofond, räumt zwar ein, alle Formen der Glasbearbeitung zu beherrschen, sieht sich selbst allerdings als Spezialist der so genannten Zanfirico-Technik. Bei diesem Verfahren werden im Ofen mehrere Plättchen zugleich erhitzt und anschließend zu einem Spiralmuster gedreht. Dennoch kommen zu ihm nach Casale sul Sile im Grunde „alle zum Glasblasen“. So wendet sich etwa auch das renommierte Label Louis Poulsen an Vetrofond, wenn es zeitweilig von Metallblech und Acrylkugeln absieht, um die Deckenleuchten von Arne Jacobsen oder die Reflektoren von Verner Panton mit Glas zu gestalten. Um das Glas blasen und dekorieren zu lassen, blickt man hier lieber nach Venetien als nach Deutschland/Böhmen. Auch die Zusammenarbeit von Vetrofond und Foscarini läuft bereits viele Jahre und spiegelt sich im Umsatz des Unternehmens mit gewichtigen 20 % wieder. Die Glasbläser kommen dabei ausnahmslos aus Italien und ihre Ausbildung ist lang. Mindestens fünf Jahre dauert es, einen Glasbläser auszubilden. Die Arbeit erfolgt dann in Teams von drei bis fünf Arbeitern, die sich auf die Modelle eines bestimmten Herstellers spezialisieren, wobei im Fall von Foscarini die Fertigung durch zwei Teams erfolgt. In diesem Fall wechseln sich alle fünf Mitglieder eines Teams beim Glasblasen und in der Nachbearbeitung ab. Nachdem mit dem Rohr die „ Pea “, die birnenförmige Kugel, aufgenommen wurde, wird die Glasmasse geblasen und in eine Form eingepasst. Dieser Vorgang erfolgt von Hand – maschinell ist hier fast nichts möglich. Im Fall der Leuchte Rituals von Ludovica und Roberto Palomba dauert der Blasvorgang etwa drei Minuten, die anschließende Feinbearbeitung ungefähr zehn. Um die besondere gipsähnliche Oberfläche zu erhalten, die die unregelmäßigen Rillen so schön zur Geltung bringt, wird die Leuchte zunächst außen matt geschliffen und dann weiter bearbeitet. Auf diesem Weg werden unschöne Flecken vermieden und die Oberfläche wird gleichmäßig weiß. Nur so kann ein ähnlich warmer Farbton erzielt werden wie bei Reispapier (etwa wie bei den Leuchten von Isamu Noguchi), der in überraschendem Kontrast zu dem für Glas so typischen reflektierenden Glanz steht. Eine andere Möglichkeit, um die Wirkung von Glas zu beeinflussen, besteht in der Verwendung von matten Farben, die stärker mit den Farbtönen der Umgebung verschmelzen. Bei der Leuchtenserie Buds von Rodolfo Dordoni wird der Glanzeffekt von Glas etwa durch die Verwendung von Grün-, Grau- und Brauntönen gedämpft. Kühle Farben, bei denen die exakte Dosierung der zuzusetzenden eisenoxidhaltigen Mineralien überaus schwierig ist. Jede von Foscarini veranlasste Schmelzprobe – deren Zusammensetzung jeweils streng geheim gehalten wird – ist eine komplexe Angelegenheit und bringt für Moretti relativ hohe Kosten mit sich. Man bedenke nur „die 100 Kilo Material und die Kosten für das Gas, die Arbeitskraft und den Produktionsausfall“. Doch auch wenn er dabei die Nase rümpft, ist Moretti anzusehen, dass ihn diese Herausforderung reizt. Crea und Vetrofond gelingt damit eine Innovation hinsichtlich der Verwendung ihrer Werkstoffe, die in erster Linie in einer Umkehrung deren optisch-technischer Wirkung besteht: Zement soll „häuslich“ werden und seine brutalistische Konnotation verlieren. Und geblasenes Glas soll sein glitzerndes, exklusives Flair aufgeben und sich möglichst unauffällig in die Farblandschaft der Standard- Einrichtung einfügen. Das Ergebnis ist eine gänzlich andere Wahrnehmung des Materials. Das dritte Unternehmen, FAPS, ist hingegen ein interessantes Beispiel für die Erschließung eines neuen innovativen Werkstoffs, der im Wohnbereich bisher kaum Verwendung fand: Kohlenstoff- Faser. Mit ihm stellt das Unternehmen zugleich sein Kerngeschäft um, das sich ursprünglich auf die Fertigung von leistungsstarken Angelruten konzentrierte. Der Unternehmenstradition im Bereich Verbundstoffe treu ergänzt FAPS sein Angebot an Erzeugnissen aus glasfaserverstärktem Kunststoff und Glasfaser damit nun auch um Produkte aus den neuen Kohlenstoff-Fasern. Für den Eigentümer von FAPS, Ingenieur Maurizio Onofri, bedeutet dies eine Ausweitung des Warenspektrums auf völlig neue Bereiche, auf Produkte aus den unterschiedlichsten Branchen, in denen leistungsstarke Komponenten mit geringem Gewicht benötigt werden. In Folge werden Walzen für die Industrie und Fahrradgestelle sowie Komponenten für die Schifffahrt – wie Spibäume, Segellatten und Pinnenverlängerungen – in die Produktion aufgenommen, zusätzlich zu den Angelruten, die im Programm bleiben. Reine Glasfaser hatte in der Welt des Designs hingegen seit jeher kaum eine Rolle gespielt (der raffinierte Armstuhl Nena von Richard Sapper für B&B aus dem Jahr 1986 war mit seinem Gestell aus Glasfaser für die Produktion letztlich zu komplex), der Einsatz beschränkte sich praktisch auf einige wenige Sitzmöbelmodelle von Alias. Nun gilt es, die spezifischen Verarbeitungs- und Anwendungsmöglichkeiten des neuen Verbundstoffs für die Designbranche zu entdecken, ohne damit ältere Werkstoffe imitieren zu wollen. Die Leuchtendesigns, die Marc Sadler Foscarini vorschlägt, beinhalten schließlich ein Stehleuchtenmodell, das sich ideal eignet, um die Möglichkeiten von Kombinationen aus Glas- und Kohlenstoff-Faser auszuloten und FAPS in die Entwicklung der Leuchte einzubinden. FAPS beginnt in Folge an einer wirtschaftlichen Kombination zu arbeiten, bei der die beiden Werkstoffe einander synergetisch ergänzen: Glasfaser ist flexibler, Kohlenstoff punktet dafür mit größerer Festigkeit. Das Geheimnis eines Verbundstoffes liegt dabei stets in der speziellen Mischung der gewählten Fasern und des passenden Kunstharzes bevor das Material im Ofen erhitzt wird. Die Leuchte Tress besticht mit der stoffartigen Struktur der einzelnen Bänder. Fünf verschiedene Arten von Bändern mit unterschiedlichen Breiten bilden, quer übereinandergelegt, den säulenförmigen Korpus der Leuchte. Die Basis und das obere Ende des Schirms über dem Leuchtmittel bestehen unter anderem aus Kohlenstoff- Faser. Die Leuchte Mite präsentiert sich wiederum als zeitgenössischer Luminator, deren unregelmäßige konische Form der Verarbeitung einer Art moderner „Haut“ zu verdanken ist. An der Laminierstation glätten Fausta und Lia das Gewebe aus Glasfasern, das später auf die Form kommt (von ihnen kurz „Haut“ genannt), und sorgen dafür, dass es perfekt am Kalander anliegt. Eine archaische Geste aus dem Bereich der Hausarbeit, die Fingerspitzengefühl verlangt. Manchmal übernehmen diese Aufgabe auch Männer, aber die beiden Frauen erledigen sie am besten. Inmitten der vielen High-Tech- Werkzeugmaschinen sieht man hier eine Tätigkeit, die an die Gesten einer Schneiderin beim Einkleiden einer Braut erinnert. Ein Bild, das uns auch ein Gefühl dafür vermittelt, wie viel Zeit dieser Arbeitsschritt erfordert. Schließlich läuft das lange schwarze Filament aus Kohlenstoff-Faser durch den Wickler und der Korpus der Leuchte ist fertig. Für die Ausführung in Gelb kommt hingegen sensibler, halbfertiger Kevlarfaden zum Einsatz, der jedoch leichter bricht und Schaden nimmt. Die mit Kohlenstoff-Faser möglichen Dimensionen wurden mit Twiggy ausgelotet und ausgetestet. Insbesondere der Schaft der auch größentechnisch eindrucksvollen Leuchte stellte eine große technische Herausforderung dar. Der gebogene, elastische Stiel ist aus zwei Teilen zusammengesetzt, um die für die Krümmung notwendigen mechanischen Eigenschaften zu garantieren. Seine Gesamtlänge von 320 Zentimetern erfordert eine Kombination von zwei Elementen: einem steiferen aus Kohlenstoff-Faser für den unteren Abschnitt und einem aus verstärkter Glasfaser für den oberen, plus verstärkende Elementen an der Spitze. An diesem Punkt wurde die Leuchte zunächst mit 9 Kilo belastet, um die allgemeine Widerstandsfähigkeit und Flexibilität des Stiels zu testen – 150 Muster waren nötig, um das passende Schaftmodell zu finden. Die Schirme von Twiggy bestehen hingegen aus mit schwarzem Kunstharz pigmentiertem Glasfasergewebe, wobei die Menge an Kunstharz exakt zu dosieren ist. Gegebenenfalls erfolgt nach dem Erhitzen im Ofen eine entsprechende Reinigung, um einen fleckenfreien Moiré- Effekt zu erhalten. Mit der abschließenden Lackierung, die von FAPS intern durchgeführt wird, erhält die Leuchte ihren finalen Look. Ihr Stiel präsentiert sich nun schwarz, schmutzig weiß/grau, karminrot, greige oder indigo. Dank des geringen Gewichts des Verbundstoffes erreicht Twiggy eine Gesamthöhe von 290 Zentimetern, während die Arco-Leuchte von Castiglioni auf 250 Zentimeter beschränkt war. Auch das Gewicht der beiden Leuchten bezeugt den technischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte: 17 Kilo bringt Twiggy auf die Waage, 64 sind es bei Arco. 4. Die hier beschriebenen Kern-Eigenschaften des industriellen Handwerks sind ebenso neu wie alt. Foscarini folgt mit seiner Produktkultur heute, mit einem zeitlichen Abstand von fünfzig Jahren, der Tradition von Azucena oder Danese. Zwei Unternehmen, die mit ihrem Zugang gegen den Strom schwammen und damit aus heutiger Sicht zusätzlich an historischer Bedeutung gewinnen. Gegründet in den Jahren 1949 (Azucena) und 1957 (Danese), klammerten sie sich nie an die Idee, die Produktion selbst vor Ort abwickeln zu müssen. Die beiden Verleger/ Hersteller arbeiteten bereits mit anderen Firmen in geographisch verstreut gelegenen Industriezentren zusammen, als der Ankauf und die Konzentration von Produktionsmitteln noch der einzige mögliche Weg schien, um in der modernen Welt des Designs mitzumischen. Wendig bewegten sie sich durch das Netz von Industrie und Handwerk und spielten mit dessen Mechanismen. (Weithin bekannt ist etwa der Auftrag von Bruno Danese an einen Hersteller von Kanalrohren, ein graues PP-Rohr im 30°-Winkel zu schneiden und ihm einen Rand zu verpassen – für die Fertigung des Papierkorbs In Attesa von Enzo Mari.) Die Suche nach einem Arbeitsschritt, der für die Serienproduktion genutzt werden kann, ist für Foscarini in gleichem Maße zentral. Ebenso erinnern mich gewisse Klagen der Hersteller über das akribische Streben von Foscarini nach höchsten qualitativen Standards an jene der industriellen Handwerker, die für Danese tätig waren. Bei Danese setzte man allerdings auf eine Politik mit einigen wenigen, „aristokratischen“ Akteuren, auf eine Art kontinuierliche Selbstreflexion in Bezug auf das Projekt (mit Mari, Munari, dem Danese-Duo und sonst niemandem). Foscarini öffnet sich nun hingegen einer Politik mit zahlreichen Akteuren: Tatsächlich arbeitet das Unternehmen für die Entwicklung seiner Produktpalette mit etwa 33 Designern zusammen. Durch diese Vervielfachung der Beiträge verlagert sich auch der Schwerpunkt weg vom Inhalt des Projekts hin zur Art der Produktion, die damit zum entscheidenden Erkennungsmerkmal des Unternehmens wird. Erfolg kann dabei heute laut Andrea Branzi „nur durch die Organisation provisorischer Systeme“ gelingen. Durch intelligente, temporäre Systeme, die „komplexe Strukturen jedweder Art vermeiden“ (2) . Provisorisch und von manueller Arbeit geprägt präsentiert sich damit das neo-industrielle Handwerk. Was fasziniert an dieser Art intensiver Forschung, die sich ganz auf das „Tun“ konzentriert, selten linear verläuft und sich kaum programmatisch steuern lässt, ist genau das, was auch die Tätigkeit in einem High-Tech- Raumfahrtlabor kennzeichnet. Es ist das Konzept kontinuierlicher Arbeit, beständiger Weiterentwicklung und tagtäglicher Vervollkommnung, das ein entsprechendes Innovationspotenzial in
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